Digitales Fachgespräch:

Bildungsgerechtigkeit in und nach der Corona-Pandemie

„Wir stecken in einer pädagogischen Klimakrise“, sagte Professor Klaus Zierer beim digitalen Fachgespräch am 9. März, zu dem der Familienbund der Katholiken NRW eingeladen hatte. In seinem Buch „Ein Jahr zum Vergessen“ hat der Erziehungswissenschaftler der Universität Augsburg viele Schwachstellen der Bildungssysteme aufgezeigt. Er plädiert für einen ganzheitlichen Bildungsbegriff, bei dem Kunst, Musik und Sport stärker gewichtet werden und das „Prinzip Freude“ in den Vordergrund tritt.

„Nicht für die Schule, sondern für die Freunde lernen wir!“

In Abwandlung des Ausspruches von Seneca betonte Klaus Zierer die immense Rolle gleichaltriger Mitschülerinnen und Mitschüler. „Der wichtigste Motor sind die Gleichaltrigen“, sagte er. Eine von ihm durchgeführte Studie ergab, dass 93 % der Schülerinnen und Schüler wegen der Freunde in die Schule gehen. Insofern solle „Schule nicht nur ein Lernort, sondern auch Bildungsraum werden und damit ein Ort der Freude“, so Zierer. Dafür müsse das Motto gelten: Raus aus der Passivität!

Musik, Kunst und Sport

Das Potenzial der Fächer Musik, Kunst und Sport werde bis heute verkannt, meinte Zierer. Da in diesen Fächern Kreativität und Kommunikation gefördert werden, müssten sie gleich am Morgen unterrichtet werden. Doch gerade diese Fächer wurden in der Pandemie meist zuerst gestrichen. „Die aktuellen Lehrpläne bereiten die junge Generation nicht auf die Herausforderungen der Zukunft vor! Man braucht nicht nur Fachwissen, sondern Denkweisen, bei denen man Wissen verknüpft, man braucht Kreativität und Teamgeist!“, sagte Klaus Zierer. Lehrpläne müssten entrümpelt, Stofffülle reduziert werden. In Medienerziehung sah er eine zentrale Aufgabe. „Medienkompetenz ist nicht trivial!“, sagte er. „Mütter und Väter haben dabei eine wichtige Vorbildfunktion.“

Bildungsrat etablieren

Um einen Ausweg aus der „pädagogischen Klimakrise“ zu finden, regte Professor Zierer die Einrichtung eines Bildungsrates an, der über föderale Strukturen hinweg als bundesweites Zentralorgan für Bildung fungieren sollte, dem Wissenschaftler*innen, aber auch Eltern und Schüler*innen angehören sollten. „Die Politik muss aufhorchen. Das Bildungsniveau korreliert mit der Demokratiefähigkeit. Wenn das Bildungsniveau sinkt, dann sinken auch Wahlbeteiligung und die Bereitschaft, ein Ehrenamt zu übernehmen“, stellte Zierer fest. Um bildungspolitische Veränderungen zu erreichen, hatte er noch einen guten Tipp: „Politik hört auf die Wirtschaft! Wenn seitens der Wirtschaft das Signal kommt: wir brauchen beim Nachwuchs andere Schlüsselkompetenzen als bisher – mehr Kreativität, Teamgeist und Kommunikationsfähigkeit – dann gibt es eine Chance für bildungspolitische Veränderungen!“.

Text: Bettina Weise
15.03.2022